1. Ausgabe

Geleitwort

Dies ist die erste Ausgabe des Prosastücks. Sie steht im Zeichen des Prosagedichts, wobei David Emlings Beitrag – zumindest formal (Zeilenbrüche!) – am deutlichsten in Richtung Lyrik weist. Weniger dichterisch, aber nicht weniger kunstvoll sind Fabian Baders Hauptstadtimpressionen, die Witz auf kleinstem Raum entfalten.

Angepasst an die (mutmaßlichen) Lesegewohnheiten des Internetnutzers haben wir uns auf eine überschaubare Zahl von Texten beschränkt, kündigen hiermit aber schon die zweite Ausgabe an, die in wenigen Wochen erscheinen soll.

Wer sich über die Autoren informieren möchte, kann dies durch Klick auf den jeweiligen Namen tun.

Axel Görlach – (aus dem Zyklus:) & die gesänge der züge

heiß die nacht das kreischen der räder die vollbremsung des zugs. dunkelheit im wagon. vor dem fenster ein blinklicht an einem bahnübergang endloses warten. lichtklingen durchschneiden das schwarz unter dem zug neben dem gleis polizisten mit taschenlampen. das monotone blinken des roten warnlichts. der radfahrer hat es nicht geschafft. der zug ist derselbe nicht mehr. wir sehen einen mond groß aufgehen und grell fällt sein licht ins abteil. die amerikanerin mit zwei kleinen kindern. sie wirft ihnen zufallswörter zu. sie komponieren damit skurrile sätze und tragen sie vor. leidenschaftlich lustvoll jede einzelne silbe betonend. die junge frau lacht. zärtlich und hell. wenn sie lacht verschwindet die härte um ihre mundwinkel. hört sie auf werden die senkrechten falten in den wangen wieder zu stein. ihr haar ist grau. sie trägt einen witwenring. der verlust hat sich eingegraben bis hinunter in ihre schlanken hände die fleckig wurden von einem tag auf den anderen die leichtheit verlernten. etwas sitzt mit im abteil. ist unaussprechbar. zertrümmert den mond meißelt ein silbernes loch in den gläsernen himmel das sich rot färbt wie ein brennendes auge. wir sehen etwas. aufgehen. zwischen wien und budapest.

Fabian Bader – Hauptstadtimpressionen
(die Texte sind Teil eines Zyklus)

Der Mitbewohner war Feiern. Dramatisch und leidend hält er Kaffeetasse und Aspiringlas. Fragt man, was los sei, antwortet er, der Kapitalismus bereite ihm Schädelweh.

*

An der Privatsphäre vorbei. Ins Café Rabenschwarz. Alle Stühle sind frei und eine Stimme ruft, die Bedienung sei seit einer halben Stunde auf Klo. Man könne warten… aber eigentlich, solle man es lieber lassen.

Simone Scharbert – Im Periost

spüre das gewebe unter der haut, ein pochen, knochen für knochen umbindend, filigrane kollagen sind das, fasern von einem zum anderen, a thousand crossings, bildmeere, durchbluten hüllen ums mark, kreuzen wieder und wieder, so also lese ich, von beinhaut ist jetzt die rede, also die sprache, von struktur, vorläufig die zellen, beinahe, ich denke an silben und wie sie zerfallen, in laute, erst später in schmerz, dumpf, kaum zu hören, formt mein mund wörter, fremdblasig sitzen sie auf der zunge, ein lautschlag der lunge, zum anderen ende des körpers, lese ich weiter, durch rippenhöhlen und rippenbögen, a thousand crossings, hämmern gedanken, das hämatom, verständnislos, mein ich also ein luftgebäude, die schläfen im schlaf, zwischendurch schiebt sich der atem, ein einundaus, ein ausundein, in immer kürzeren abständen, entzündet das fell, den riss, die knochen, von leuchten ist jäh die rede, also die sprache, verletztes gewebe unter der haut, im mund, a thousand crossings, ein gewölle mein hirn, ohne mich selbst greifen zu können, ein aufgebrochenes material, meine sprache, der körper.

David Emling – Selbst die Seelotsen der Reviere

Schwarzer Stuhl, Lendenwirbel verschoben, verrottete
Bandscheiben – Kissen, summender Schmerz. Und dann ein
Laut, kaum zu hören, nur zwischen den Ritzen nachträglich
eingefügter Wände. Wie eine Glocke, die dich
zurückbringt/aufhält zu diesem gewohnten/uneigentlichen Platz.

Sentenzen, Sequenzen, aufgereiht wie vermietbare Garagen,
Einheitsgröße, nur ein Weg raus. (Und hinein?) Mund auf,
Kauen, schnell schlucken, hoffentlich nicht zu teuer.

Monate mit Namen, schmelzen zusammen, ein Jahr heißt es,
verendete Zeit. Was ist eine Handlung? Was tut man –
wirklich? Tage fransen aus, laufen zusammen, wie zwei
vermischte Farben eine neue ergeben. Bedenke; du kannst
immer ein wenig Weiß dazugeben.

Ausrechnen, ob es reicht. Das Jahr 2054, 35 Jahre noch; ein
Leben beginnt von neuem, oder nur ein wenig, oder gar
nicht. Zeitfenster zerbrochen, noch nicht einmal mehr die
Häuser sind da, durch die sie zuallererst zu Fenstern
geworden waren. Und irgendwo in der linken Ecke meines
Gehirns vernehme ich eine kitschige Klaviermelodie – und
weiß nichts damit anzufangen.

Nicola Quaß – (aus dem Zyklus:) Regentage im Leben einer Ballerina

Es wurde Herbst, ein harter, leuchtender Regen. Sie begann, über Wälder nachzudenken, über den enger werdenden Raum. Sie träumte: von der Tiefe des Tages, von Nebel in den Ecken des Zimmers. Dabei war es nur Regen, der gegen die Fensterscheibe schlug. Nun begann sie zu reisen in die Mitte ihres Kopfes. Landschaft im launischen Raum. Der Platz am Fluss, an dem sie einst tanzte, war von schweren Wolken verschüttet. Die fiebrigen Gräser rührten sich nicht. Hier die Geschichte rückwärts erzählt: Die Frau, die noch drei Tage zu leben hatte, stand am Fenster und betrachtete die streunenden Vögel unter dem scheuen Mond.